Freiräume statt Reservate - Fragen an Heidrun Kunert-Schroth vom Deutschen Institut für Urbanistik


Deutsches Institut
für Urbanistik

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Immer mehr Familien ziehen raus aus der Innenstadt. Ist die Großstadt kinderfeindlich?

Das würde ich nicht so sehen. Aber die Interessen von Kindern wurden bisher in der Stadtplanung zu wenig berücksichtigt. Es gab zwar in den 80er Jahren Ansätze, die Stadt kinderfreundlicher zu gestalten, zum Beispiel bei der Internationalen Bauausstellung, aber durch die Wende traten erst mal ganz andere Defizite der Stadt in den Vordergrund. Dabei ist Kinderfreundlichkeit der wichtigste Indikator für Lebensqualität überhaupt.

Wie kann man die Lebensbedingungen für Kinder in der Stadt verbessern?

Wenn man etwas für Kinder tun will, muß man ihren Bewegungsraum vergrößern. Eine ganz wichtige Rolle spielt hierbei die Verlangsamung und Zurückdrängung des Verkehrs. Nur so kann es gelingen, den öffentlichen Raum für Kinder zurückzugewinnen. Der Verkehr ist nun mal der größte Konkurrent um die Fläche in der Stadt. Die Ausweitung der Spielflächen ist in den dicht besiedelten Innenstadtquartieren sehr schwierig. Hier hat beispielsweise die Stadt Aachen vorgemacht, wie es gehen kann. Dort hat man einfach Spielpunkte mitten in die Innenstadt gesetzt: auf einer kleinen Fläche wurde ein einzelnes Gerät oder ein Sandkasten aufgestellt. Oder Bürgersteige wurden verbreitert, so dass man vor den Häusern wieder spielen kann. Auch Innenhöfe bieten eigentlich hervorragende Möglichkeiten, wenn man Durchgänge schafft und so einen ganzen Wohnblock als offenen Raum gewinnen kann. Da gibt es sehr schöne Beispiele, wie am Klausener Platz in Charlottenburg, wo auf Initiative der Mieter ein Innenhof entstand, der zum Aufenthalt einlädt: mit Sitzbänken und einer Feuerstelle. Sogar Tiere werden im Hof gehalten.

Was gehört überhaupt zu einem kinderfreundlichen Ort?

Zunächst einmal muß man davon wegkommen, Kinder in Schutzräume abzudrängen. Sinnvollerweise sollten Spielflächen gar nicht abgesondert sein, sondern mit der Straßenbenutzung verbunden werden. Wichtiges Kriterium ist die Zugänglichkeit: zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Damit Kinder sich in einem Gebiet frei und sicher bewegen können, müssen die verschiedenen Anlaufpunkte vernetzt werden. Das Ziel ist, dass die Kinder sich über sogenannte Streifräume ein Gebiet selber erobern können. Und was den Spielplatz selber betrifft: Er sollte abwechslungsreich sein, ein paar Landschaftselemente enthalten wie kleine Hügel, Steine oder einen Bach und nicht vollgeballert sein mit Spielgeräten.

Wie können Kinder einbezogen werden bei der Umgestaltung ihres Umfelds?

Kinder beteiligen sich dann, wenn sie das Gefühl haben, sie werden gebraucht und es kommt was dabei raus. Die Erfahrung zeigt, dass es günstig ist, wenn eine Institution wie Schule oder Kindergarten die Kinder vororganisiert. In Wiesbaden zum Beispiel gibt es ein Projekt, bei dem Schulkinder als kleine Detektive durch den Stadtteil gehen und mit Hilfe von Fotos und Notizen eine Bestandsaufnahme machen von besonders schrecklichen und besonders schönen Orten. Die Kinder machen dann Vorschläge, was zu verbessern ist. Ganz wichtig ist dann aber, daß diese Ideen auch konkret umgesetzt werden – sonst verlieren die Kinder die Lust.