Das Dorf in der Stadt - Nachbarschaft im Wandel


 

Beim Spaziergang durch Friedrichshain oder Prenzlauer Berg stößt man gelegentlich auf Häuser mit der Aufschrift "Goldene Hausnummer". Zu DDR-Zeiten wurden damit Hausgemeinschaften ausgezeichnet, die sich in vorbildlicher Weise um ihr Haus kümmerten. Damals war es üblich, dass die Mieter das Treppenhaus selber putzten und Grünanlagen und Höfe gemeinschaftlich pflegten. Von dem Obolus, den man für diese Tätigkeiten bekam, wurden Weihnachtsfeiern und Hausfeste organisiert. Auch wenn es eine Zwangssolidarität war - der Kontakt der Hausbewohner untereinander wurde dadurch gefördert. Dieser Zusammenhalt ging durch strukturelle Veränderungen nach der Wende verloren. Der Wegzug vieler Familien und die hohe Fluktuation, zum Teil ausgelöst durch die Sanierung, haben zu einem fast kompletten Bevölkerungsaustausch geführt.

Aber was ist das überhaupt, eine gut funktionierende Nachbarschaft? Die Soziologen sprechen von der Nachbarschaft als einer Nothilfegemeinschaft: Je mehr die Bewohner eines Hauses oder eines Stadtteils aufeinander angewiesen sind, desto eher existieren enge nachbarschaftliche Beziehungen. Der Begriff Nachbar ist zusammengesetzt aus den Worten "nah" und "Bauer" und bedeutet im eigentlichen Sinn "nahebei Wohnender". Im vorindustriellen Dorf beinhaltete Nachbarschaft unter Bewohnern benachbarter Höfe sowohl Hilfe in Notlagen als auch Teilnahme an freudigen Ereignissen. Auch in der mittelalterlichen Stadt spielte die Nothilfefunktion der Nachbarschaft eine wichtige Rolle. In der modernen Stadt dagegen sind viele der einstigen Aufgaben durch die öffentliche Hand übernommen worden: Kranke werden in Krankenhäusern versorgt, und für ältere Menschen gibt es Altersheime. Dennoch hat Nachbarschaft auch in der heutigen Zeit eine wichtige Funktion. Das geht von ganz alltäglichen Hilfeleistungen wie dem Borgen von Lebensmitteln bis hin zur Hilfe bei Gefahren. Und gerade für Hausfrauen oder Rentner, die stark an das Haus gebunden sind, spielt das Schwätzchen mit anderen Hausbewohnern eine wichtige Rolle.

Ein gutes nachbarliches Umfeld trägt also entscheidend zur Lebensqualität im Wohngebiet bei. Daher unterstützt die Gemeinschaftsinitiative URBAN Projekte, die für eine Verbesserung der Wohnverhältnisse im Kiez sorgen. Um ein positives Gesamtklima zu schaffen, sollen die vorhandene Infrastruktur verbessert und neue integrierende Nachbarschaftszentren aufgebaut werden. Und da gibt es im URBAN-Gebiet einiges zu tun: Orte für Begegnungen fehlen. Gerade für die zahlreichen Arbeitslosen sind solche Treffpunkte aber wichtig, um aus der Isolation herauszukommen. Mittlerweile haben sich zahlreiche Initiativen und Vereine zusammengefunden, die diese Defizite abbauen wollen. Einige davon wollen wir Ihnen in dieser Ausgabe vorstellen.