Wie steht's um die Nachbarschaft? - Politiker der drei URBAN-Bezirke zur Situation im Kiez


 

Ines Saager (CDU), Sozialstadträtin von Prenzlauer Berg: "Das Wegbrechen sozialer Bindungen hat auch mit den vielen Zu- und Wegzügen zu tun. Der Prenzlauer Berg ist schon immer ein Durchzugsbezirk gewesen. Dadurch wird die Bindung an ein Haus nicht gerade gefördert. Wir erleben derzeit eine Zuzugswelle von jungen Leuten. Von insgesamt 129 000 Einwohnern sind 75 000 zwischen 27 und 45 Jahre alt. Trotz 13 000 Arbeitslosen und großen strukturellen Veränderungen ergibt das eine gute Basis für Nachbarschaft. Es gibt zudem im Bezirk eine sehr urbane Struktur mit vielen Kneipen und kleinen Läden. In Gesprächen mit Bürgern wird gelegentlich die Anonymität beklagt. Sicher: Früher existierte eine ganz andere Zusammengehörigkeit unter Nachbarn. Aber man darf nicht vergessen, dass es sich um eine Notgemeinschaft handelte. Zu DDR-Zeiten musste man sich ja mit den Nachbarn darüber unterhalten, wo man dies oder jenes herkriegt. Aber auch wir selber und unsere Denkweise haben sich verändert. Manch einer, der das Gemeinschaftsgefühl von damals vermisst, entsorgt seinen alten Kühlschrank auf der Straße vorm Haus - und erwartet vom Staat, dass er sich darum kümmert."


Gert Schilling (SPD), Bezirksbürgermeister von Weißensee: "Viele Weißenseer leben schon Jahrzehnte in ihrem Bezirk. Gerade im Komponistenviertel, Sanierungs- und URBAN-Fördergebiet zugleich, achten wir deshalb auf behutsames Vorgehen bei der Instandsetzung der Bausubstanz, um die über viele Jahre gewachsene Einwohnerstruktur nicht durch Verdrängung zu gefährden. Auch in den anderen Gebieten unseres recht weitläufigen Bezirks legen wir bei unserer Arbeit großen Wert auf eine lebendige Kiezstruktur. Ein Sozialbericht und der Weißenseer Altenplan liefern uns wertvolle Daten und Erkenntnisse über die soziale Situation in den Quartieren. Durch die Auswahl von Projekten und freien Trägern war und ist es möglich, die Entwicklung direkt zu beeinflussen.

Schwieriger gestaltet sich dieser Prozess in unserer neuen Vorstadt Karow-Nord, wo in den vergangenen Jahren Wohnungen für 10000 Menschen mit der gesamten Infrastruktur entstanden sind. Hier müssen sich die Menschen natürlich erst einmal eingewöhnen und kennenlernen, was wir nach Kräften unterstützen. Mit der Einrichtung eines Stadtteilzentrums und eines Bürgerbüros haben wir eine Anlaufstelle und einen Treffpunkt geschaffen. Beide Einrichtungen und die enge Kooperation mit den beteiligten Wohnungsgesellschaften fördern Kommunikation, Information und zwischenmenschliche Beziehungen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen in Weißensee schnell mit ihrem sozialen Umfeld identifizieren und an guten nachbarschaftlichen Beziehungen interessiert sind."


Lorenz Postler (SPD), Sozialstadtrat von Friedrichshain: "Die Anonymität war zu DDR-Zeiten sicher nicht so groß wie heute. Damals existierte innerhalb der Häuser eine sehr viel engere Gemeinschaft - allerdings nicht freiwillig, sondern staatlich verordnet. Es gibt in Friedrichshain immer weniger Orte, an denen Kommunikation stattfindet. Zum Beispiel haben viele von den kleinen Läden, die ja auch ein Treffpunkt für die Nachbarschaft waren, dichtgemacht. Das führt zur Isolation, gerade auch älterer Menschen. Ich denke, man muss andere Formen der Kontaktaufnahme finden. Beispielsweise hat sich ja in Teilen des Bezirks eine lebendige, alternative Kneipen- und Kulturszene entwickelt. Um die Kommunikation in Gang zu bringen, könnte ich mir auch vorstellen, kleinteilige Kiezfeste zu organisieren oder zum Beispiel zusammen mit Schulen generationsübergreifende Aktionen zu machen. Solche Initiativen können aber nicht von oben verordnet werden. Friedrichshain hat nach meiner Einschätzung insgesamt ein gut funktionierendes soziales Umfeld. Wir haben ein dichtes Netz an Seniorenfreizeitstätten, ein paar Nachbarschaftszentren mehr dürften es allerdings sein."