Willensbildung im Griff der Parteien - Fragen an Erhard O. Müller, Koordinator des Runden Tisches für Nachhaltige Entwicklung


Runder Tisch für
Nachhaltige Entwicklung

Haus der Demokratie
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Sind überhaupt genügend Menschen bereit, sich für soziale, politische oder ökologische Ziele zu engagieren?

Ich bin da nicht zu euphorisch. Nur eine Minderheit von 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung ist bereit, sich ständig aktiv einzubringen. Um so wichtiger ist es, die Voraussetzungen für eine Partizipation so attraktiv wie möglich zu gestalten. Denn Bürgerbeteiligung ist eine wertvolle gesellschaftliche Ressource. Sie hilft, fachlich verengte Sichtweisen von Politikern und Bürokraten um bürgernahe Gesichtspunkte und Lösungsideen zu erweitern.

Engagement entwickeln die meisten Menschen erst, wenn sie persönlich von einem Problem betroffen sind. Und selbst dann sind es vor allem Leute zwischen 30 und 60 in guten beruflichen Positionen, die aktiv werden. Ist das nicht ein großes Dilemma?

Wenn wir das Grundgesetz mit dem höchst anspruchsvollen Satz „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus” wirklich ernst nehmen, dann müssen Methoden entwickelt werden, die alle Menschen ansprechen – über Bürgerforen, Runde Tische oder Zukunftswerkstätten.

Eine weitere Möglichkeit sind „Bürgergutachten”, wie sie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen mit guten Ergebnissen durchgeführt wurden: nach dem Zufallsverfahren wird eine Gruppe von ungefähr 25 Bürgerinnen und Bürgern ausgewählt, die für eine Woche von ihren Alltagsverpflichtungen freigestellt werden, eine Aufwandsentschädigung erhalten und dafür gemeinsam Lösungsvorschläge für ein vorgegebenes Planungsproblem erarbeiten.

Ist das Vertrauen auf „Volkes Stimme” nicht auch mit Gefahren verbunden?

Grundsätzlich haben Bürgerentscheide an sich ebenso wenig die Moral auf ihrer Seite wie Politikerparolen. Aber entweder wir nehmen Demokratie, also „Volksherrschaft”, ernst oder nicht. Natürlich dürfen die Grundrechte auch durch Bürgerabstimmungen nicht angetastet werden. Aber ein viel größeres Problem liegt darin, daß sich die machtbesessenen Parteiapparate den Willensbildungsprozeß in dieser Gesellschaft fast vollständig zur Beute gemacht haben, was geradezu grundgesetzwidrig ist. Demokratie ist nichts Statisches, sie entwickelt sich und muß von Zeit zu Zeit eben auch modernisiert werden. Es kommt darauf an, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden.